Bumm – bumm – bumm-bumm-bumm. Bis in`s letzte Dachzimmer der neuen Siedlungshäuser ist die große Pauke zu hören. Sie ist das Signal, die Arbeit jetzt ruhen zu lassen und sich auf das anstehende Fest vorzubereiten.
Aufregung herrscht in den kinderreichen Familien. „Ich will das blöde blaue Kleid aber nicht anziehen. Ich will auch so`n rotes Kleid haben wie Ursel.“ heult die kleine Anne. Bei Margret will der frisch geflochtene Blumenkranz einfach nicht in den glatten blonden Haaren halten.
Bei Wilfried entdeckt die Mutter ein Loch in der Socke: „Seid wann hast du das denn? Flott, sofort ausziehen. Oma, kannst Du das Loch eben schnell noch stopfen?“
Nervös tänzeln die sonst so ruhigen Ackergäule. Normalerweise verrichten sie ihre Arbeit ohne Marschmusik. Stolz aufgerichtet und fest im Sattel führt Oberst Josef flankiert von den Offizieren Heinz und Tonibert den Umzug an.
Die zweispännige Kutsche für das Kinderkönigspaar ist hübsch mit Blumen geschmückt. Das Fell der Pferde glänzt frisch gestriegelt im Sonnenlicht. Die Jungen auf dem Kutschbock sind höchstens zwölf Jahre alt. Auf den Köpfen tragen sie riesige Zylinderhüte. Den Kragen ziert eine weiße Fliege. Mit den dunkelblauen Jacken sehen sie richtig vornehm aus. Passend zur Kleidung tragen sie ein feierliches Gesicht zur Schau.
Vorneweg die Musikanten setzt sich der Umzug langsam in Bewegung. Die Kutsche wird auf beiden Seiten flankiert von einer Doppelreihe Schützen mit langen Holzgewehren. Im Lauf steckt ein Büschel Eichenlaub. Auch hinter der Kutsche marschieren zahlreiche junge Schützen.
Zunächst geht es zum Karlsring 5. Der Eingang ist mit grünen Girlanden und frischen Tannenbäumen dekoriert. An den Holzklappläden prangen über Kreuz gesteckte Fähnchen. König Hermann wird mit allen Ehren von den Königsoffizieren unter lautem Trommelwirbel von der Haustür, pardon, natürlich vom Schloßtor, zur Kutsche geleitet. Seine Majestät ist von Kopf bis Fuss weiß gekleidet. Stolz trägt er um den Hals die Königskette.
Weiter geht es zur Widukindstraße. Hier wartet Königin Doris bereits voller Ungeduld mit ihrem großen Hofstaat. Alle Damen tragen lange, festliche Kleider. Der Saum ist mit kunstvollen Bordüren verziert. In der Hand halten sie einen bunten Blumenstrauß. Über der Königin leuchtet ein kunstvoll geflochtener Blütenbogen. Hinter ihr prangt eine noch prächtigere riesige Blumenkrone.
Bevor König Hermann sie in die Kutsche geleitet, nehmen sie mit ihrem Gefolge zu den Klängen des Präsentiermarsches erst einmal die Parade der Schützen ab. Vorweg der Oberst mit seinen Adjutanten hoch zu Ross. Dann folgt der Fahenträger Josef Jakob mit einem großen Federbusch am Hut. Seine Schärpe trägt er von links nach rechts vor der Brust. Er wird begleitet von Offizieren mit weißen Kniestrümpfen, dunklen Hosen, weißem Hemd und Schärpen von rechts nach links. Dann folgt eine lange Reihe von Schützen mit aus grünem Krepppapier selbst gebastelten Hüten.
Die Majestäten sind mit ihren Schützen zufrieden; der Umzug kann beginnen. Es geht einmal um die ganze Siedlung, dann auf der Dringenberger Straße stadt-einwärts bis zur Grenze der Südstadt bei Bauer Marx. Hier wird gewendet und dann zieht der lange Zug von zahlreichen Neugierigen begleitet wieder am Missionshaus vorbei bis zur Festscheune bei Möhlerbauer.
Die Schützen stellen sich in einer langen Reihe an der Südseite der Zufahrt auf. Sie präsentieren ihre Gewehre während König Hermann seine Königin stramm grüßend zum Festplatz geleitet.
Die Zuschauer drängen sich dicht an dicht hinter den Schützen und auf der Dringenberger Straße. Hinter der Scheune ist ein Holzpodest für die Musiker gezimmert. Es wird mäuschenstill, als König Hermann dieses Bühne betritt um einige Worte an seine Untertanen zu richten. Gearbeitet habe man nun genug. Er sei sehr zufrieden mit seinem fleißigen Volk. Deshalb habe man sich diese Feier jetzt auch ehrlich verdient. Alle lassen das Königspaar hoch leben und dann spielt die Musik auf.
Onkel Karl kümmert sich um die Kinder. Eine lange, glatte Kletterstange wird aufgestellt. An der Spitze ist das Rad eines Fahrrades befestigt, von dem Würste und Süßigkeiten baumeln. Wer es schafft, an der Stange hochzuklettern, darf sich ein Teil abzupfen. Auf der Wiese vergnügen sich andere beim Tauziehen, Sackhüpfen oder Eierlauf.
Die Erwachsenen sitzen derweil an den langen Tischen lassen sich von Gerken Werner im weißen Kellnerjackett bedienen. Die Frauen begnügen sich mit Kaffee und Kuchen. Die Männer greifen auch schon zur Flasche Bier und prosten sich mit Schnaps zu.
Alle freuen sich, weil sie einmal nicht an die Sorgen des Alltags denken. An einem Tisch sitzen gestandene Männer und planen nach der dritten Flasche Bier schon das nächste Fest. „Wie wäre es, wenn wir statt des Luftgewehres demnächst eine Armbrust nähmen, um auf Adler zu schießen?“ Die Idee finden alle gut, aber wer soll das bezahlen?
Noch ahnt keiner, dass bereits sieben Jahre später eine Armbrust angeschafft werden kann, die bis in das nächste Jahrtausend dank guter Pflege Jahr für Jahr zum Kinderkönigschießen benutzt wird.